Die Kanzlei Ferner hat auf ihrer facebook Timeline auf ein Urteil des Amtsgerichts Köln vom 10.08.2012 hingewiesen (Urteil im Volltext).
Der Angeklagte und sein Komplize schnitten mit einem Bolzenschneider ein Stück Zaun von der Kölner Hohenzollernbrücke heraus, an dem mehr als 50 so genannte „Liebesschlösser“ dran hängten. Dieses 15 Kilo Stück wollten die beiden an einen Schrotthändler verkaufen und sind wohl in flagranti gefasst worden.
Das Strafgericht hat festgestellt, dass sich die beiden des Diebstahls und Sachbeschädigung in Mittäterschaft strafbar gemacht haben.
In Bezug auf die Fremdheit und den Gewahrsam an den Liebesschlössern hat das Amtsgericht lehrbuchartige Ausführungen gemacht. Deswegen eignet sich der Fall bestens für eine Anfängerklausur oder auch eine Hausarbeit. Die Ausführungen zitieren ich am besten komplett:
Damit hat sich der Angeklagte des Diebstahls in Tateineheit mit Sachbeschädigung nach §§ 242 Abs. 1, 303 Abs. 1, 52 StGB schuldig gemacht.
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Indem der Angeklagte die „Liebesschlösser“ von dem Gitterzaun an sich nahm, um sie auf dem Schrottplatz zu verkaufen, hat sich der Angeklagte des Diebstahls schuldig gemacht.
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Die „Liebesschlösser“ waren für den Angeklagten fremde Sachen. Fremd ist eine Sache, die nach bürgerlichem Recht im Eigentum einer anderen Person steht und nicht herrenlos ist (Fischer, StGB, § 242 Rn. 5 ff.). Unzweifelhaft standen die „Liebesschlösser“ nicht im Alleineigentum des Angeklagten oder seines Mittäters. Sie waren auch nicht herrenlos. Sie stehen im Eigentum derjenigen, die sie an der Brücke angeschlossen haben. Bewegliche Sachen werden nach § 959 BGB herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt. Erforderlich dazu ist neben der tatsächlichen Besitzaufgabe der rechtsgeschäftliche Wille auch das Eigentum aufzugeben. Dieser Wille muss zwar nicht ausdrücklich geäußert werden, erforderlich ist aber, dass dem Eigentümer das rechtliche Schicksal der Sache völlig gleichgültig ist. Er müsste daher zu diesem Zeitpunkt nichts dagegen haben, dass sich ein anderer die Sache zueignen könnte (Staudinger-Gursky, BGB-Neubearbeitung 2011, § 959 BGB, Rn. 3; Fritsche, MDR 1962, 714). Das ist bei den „Liebesschlössern“ nicht der Fall. Diese werden dem Brauch nach am Brückengeländer angebracht um als Symbol für ewige Liebe für immer dort hängen zu bleiben. Diejenigen, die „Liebesschlösser“ an das Brückengeländer anbringen, wollen diese gerade nicht dauerhaft loswerden. Sie wollen sie nur an diesem speziellen Ort deponieren. Das weitere rechtliche Schicksal der Schlösser war denjenigen, die die „Liebesschlösser“ am Brückengeländer anbrachten daher nicht völlig gleichgültig. Erkennbar ist dies insbesondere daran, dass nach der Presseberichterstattung über die Tat mehrere Personen ihre „Liebesschlösser“ erkannten und heraus verlangten („N & N“; „S + U 4ever“).
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Die „Liebesschlösser“ waren auch nicht gewahrsamslos. Der jeweilige Eigentümer der Hohenzollernbrücke (Gemarkung Deutz: DB Netz AG; Gemarkung Köln: Stadt Köln) hat Gewahrsam an den „Liebesschlössern“. Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft unter Berücksichtigung der Anschauungen des Verkehrs (Fischer, StGB, § 242 Rn. 11). Für den Gewahrsam ist der Wille zur Sachherrschaft nötig, der ein Wissen, also Kenntnis vom Entstandensein des Herrschaftsverhältnisses voraussetzt, nicht jedoch ständiges Bewusstsein der Sachherrschaft. Auch braucht sich der Herrschaftswille nicht auf die einzelne Sache zu erstrecken, er kann auch allgemein bekundet sein (Fischer, StGB, § 242 Rn. 13). Der Gitterzaun an der Südseite der Hohenzollernbrücke ist mit mehreren tausend „Liebesschlössern“ behangen. Nach anfänglicher Skepsis werden die Schlösser aber seit Jahren von dem jeweiligen Brückeneigentümer zumindest geduldet. Dies ist daran erkennbar, dass die „Liebesschlösser“ nicht entfernt werden. Das Dulden der Schlösser an dem Gitterzaun in Kenntnis ihrer Existenz begründet den Gewahrsam des jeweiligen Brückeneigentümers.
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Der Angeklagte hat sich darüber hinaus auch der Sachbeschädigung schuldig gemacht, indem er mit seinem Bolzenschneider die Streben des Gitterzauns durchtrennte. Damit hat er rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt.
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Die Staatsanwaltschaft Köln hat konkludent durch Anklageerhebung (Fischer, StGB, § 230 Rn. 4) und ausdrücklich mit Verfügung vom 04.06.2012 das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung der Sachbeschädigung bejaht. Die Voraussetzungen des § 303c StGB liegen daher vor.
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Der Angeklagte handelte mit dem gesondert verfolgten C gemeinschaftlich im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB, denn sie führten die Tat gemeinsam aus und beabsichtigten den Beuteerlös zu teilen. Die verwirklichten Delikte stehen im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander.
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Soweit sich der Angeklagte dahin gehend eingelassen hat, er habe geglaubt sein Handeln sei nicht strafbar, ist dieser Verbotsirrtum im Sinne von § 17 S. 2 StGB vermeidbar gewesen. Der Angeklagte hat erklärt der Schrotthändler habe ihm gesagt, dass der Diebstahl von „Liebesschlössern“ nicht strafbar sei. Es liegt auf der Hand, dass der Rechtsrat eines Schrotthändlers nicht ausreichend ist und der Irrtum des Angeklagten daher vermeidbar war.
Interessant ist auch, dass der hier abgeurteilte Täter zu einer kurzen Haftstrafe von drei Monaten ohne Bewährung verurteilt wurde. Das ist wegen § 47 StGB nur in Ausnahmefällen möglich.
Bildnachweis: „Love locks / Liebesschlösser“ by Carmen Eisbär / flickr
[…] Außerdem greift Daboius examensrelevante aktuelle Rechtsprechung auf, wie kürzlich zum Diebstahl von Liebesschlössern. […]
Bei mir werden häufig so Schlösser gekauft. Habe mir schon öfter die Frage gestellt, was eigentlich so damit passiert, sobald diese irgendwo an geschlossen werden und wer dann letztentlich der Besitzer ist. Netter Sachverhalt, gut dass die Diebe erwischt wurden und zuletzt, dass meine Frage nun geklärt ist. Liebe Grüße